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Niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Familie in Niedersachsen Statistische Ämter des Bundes und der Länder

Relative Armut und relativer Reichtum

In wirtschaftlich hochentwickelten Ländern bedeutet Armut vor allem die mangelnde Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und eine Einschränkung der individuellen Handlungsmöglichkeiten. Sie kann so zur sozialen Aus-grenzung führen. Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne, geringe Qualifikation, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine zu niedrige Altersabsicherung verstärken das Armutsrisiko und die Auswirkungen prekärer Lebenslagen. Zent-raler Begriff in der amtlichen Sozialberichterstattung ist die "relative Armut" und damit einhergehend die Armutsgefährdung. Als armutsgefährdet gilt danach, wer weniger als 60% des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens (Median) zur Verfügung hat.

In Niedersachsen waren im Jahr 2019 rund 1,26 Millionen Menschen von relativer Einkommensarmut betroffen. Die Armutsgefährdungsquote erreichte mit 16,0% wie schon 2016 den höchsten Stand seit der Erhebung der Zahlen 2005.

Dabei ist der Anstieg der Quote von 2019 im Vergleich zu 2018 um 1,0 Prozentpunkte vor allem darauf zurückzuführen, dass sich die Einkommenssituation von Haushalten mit minderjährigen Kindern schlechter entwickelt hat als diejenige von Haushalten ohne minderjährige Kinder. Noch nie seit Beginn der Messung waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren mit 21,7% stärker armutsgefährdet als 2019.

Der Anstieg der Armutsgefährdungsquote 2019 gegenüber dem Vorjahr betraf jedoch auch alle weiteren größeren Bevölkerungsgruppen, unabhängig von der Haushaltskonstellation, der Herkunft, dem Bildungsstand oder dem Erwerbsstatus. Darunter fällt auch die Armutsgefährdung im Alter, die leicht überdurchschnittlich zunahm (+1,2 Prozentpunkte). Unter den Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr waren 2019 nunmehr 15,4% armutsgefährdet. Einen Rückgang ausgehend von einem überdurchschnittlich hohen Niveau gab es einzig bei den jüngeren Männern zwischen 18 und unter 25 Jahren, jene Gruppe, zu der insbesondere seit 2015 viele Zuwanderer im Fluchtkontext gehörten und die in den ersten Jahren ihres Zuzugs noch besonders von Armut gefährdet waren. Auch die zuletzt gesunkene Quote bei Alleinerziehendenhaushalten mit unter 18-jährigen Kindern stieg 2019 wieder deutlich an um 4,8 Prozentpunkte auf 43,5%.

Was das Konzept der relativen Armutsmessung nicht berücksichtigt, sind bis auf die Haushaltsgröße und das Alter der Mitglieder, zum Beispiel unterschiedlich hohe Bedarfe, Vermögen oder Fähigkeiten von Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen. Auch wenn ein Mensch nach der Einkommensverteilung über der Armutsschwelle liegt, muss er mitunter aus finanziellen Gründen auf essentielle Dinge des (gesellschaftlichen) Lebens verzichten. Zahlen zur materiellen Deprivation, die aus der EU-weiten Befragung EU-SILC Leben in Europa hervorgehen, geben Antworten darauf, worauf Menschen konkret aufgrund von Armutsgefährdung verzichten müssen.

In Niedersachsen waren 2019 demnach 7,0% der Bevölkerung von materieller Entbehrung betroffen, weil sie sich mindestens drei Dinge wie Urlaubsreisen, ein Auto, regelmäßige vollwertige Mahlzeiten oder unerwartete Ausgaben von 1.100 Euro finanziell nicht leisten konnten. Für Letzteres hätten allein 29,6% der Haushalte nicht aufkommen können, unter den Armutsgefährdeten waren es zwei Drittel (66,4%). Das zeigt wie angespannt die finanzielle Lage vieler Haushalte schon vor der Pandemiesituation 2020 war. Wenn bei solchen Haushalten monatelang nur anteiliges Kurzarbeitergeld gezahlt wird oder die Arbeit ganz wegfällt, verschärft sich die Situation, da hier auch ganz einfach kein Vermögen vorhanden war, aus dem solche Ausgaben hätten bestritten werden können. Dies hängt nicht zuletzt mit dem hohen Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor zusammen, allein im Gastgewerbe waren drei Viertel der abhängig Beschäftigten niedrig entlohnt. Wie stark die Corona-Krise die Armutsgefährdungsquote insgesamt forciert, ist jedoch schwer vorauszusagen. Dabei spielt die Situation derjenigen Haushalte eine besondere Rolle, deren Einkommen 2019 noch knapp über der Armutsschwelle lagen. Diese könnte sich zwar auch nach unten verschieben, dazu müssten die Einkommen jedoch in der Breite zurückgehen.

Quelle: Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, HSBN 2021